Das Hungertuch

Die Deutsche Kritik neigt dazu, klüger als die Kunst sein zu wollen. Sozusagen die Kunst und noch etwas mehr. Dabei ist sie natürlich immer weniger, sie reduziert das Vieldeutige, kappt den semantischen Überhang, indem sie es auf einen Nenner bringt. Auch wenn sich die Kritik selbst künstlerisch gibt, praktiziert sie Reduktion, sie schließt aus. Die Überheblichkeitsgeste der Kritik ist ihre Kompensation dieses Umstands. Sie weiß das naturgemäß selbst, und sie ärgert sich grün vor Neid. Deshalb auch oft dieser Furor sowohl des Verrisses wie des Lobs. „Ist doch nur Kunst!“, könnte man dagegenhalten, tut doch keinem weh. Aber in beiden Fällen sind es Machtdemonstration, die umso forcierter ausfallen, je deutlicher der Kritiker dem Künstler zu verstehen geben will, daß er den längeren Füller hat. Insofern steckt noch in der größten Laudatio ein Kern Verachtung. Dies zu ändern ist im Jahr 2001 der Kunstförderer Ulrich Peters angetreten und hat mit dem „Hungertuch“ einen Künstlerpreis gestiftet, der in den zehn Jahren seinen Bestehens von Künstlern an Künstler verliehen wurde. Es gibt im Leben unterschiedliche Formen von Erfolg. Zum einen gibt es die Auszeichnung durch Preise und Stipendien, zum anderen die Anerkennung durch die Kolleginnen und Kollegen. Dies manifestiert sich in diesem Künstlerpreis mit spielerischer Leichtigkeit. Die Sprache ist die stärkste Klammer, die uns zusammenhält. Ein starker Zusammenhalt angesichts der Vielfalt der geäußerten Ansichten über Sinn und Zweck des künstlerischen und kulturellen Lebens. Kants Kritik der Vernunft muß im 21. Jahrhundert zu einer Kritik der Kultur werden. Es liegt nicht ausschließlich an den Artisten, sie aber müssen gegen den Nivellierungstrend andere Maßstäbe setzen. Künstler wie Barbara Ester, Tom Täger, Peter Meilchen, Tom Liwa, Haimo Hieronymus, Manuel Quero, Almuth Hickl, Holger Benkel, Katja Butt, Pia Lund, A.J. Weigoni, Thomas Suder, Peter Engstler, Woon–Jung Chei, Denise Steger, Joachim Paul und Eva Kurowski pflegen die Kunst des Möglichen – desjenigen Möglichen, das Wirklichkeit werden kann. Bei aller Abgeklärtheit und Reife sind diese Artisten ein Leben lang Wahrnehmende mit der Fähigkeit, das Wunderland des Konkreten täglich neu zu entdecken: kommunikativ, intellektuell, kreativ, emotional. Wie die Forschung sind sie bereichernd für die subjektive Entwicklung und für die Visionskraft der Gemeinschaft. Sie führen eine Debatte für die gesellschaftliche Wertschätzung der Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern – auch und gerade dann, wenn die Ergebnisse unbequem sind und uns herausfordern, irritieren oder schockieren. Die Dokumentation zum Künstlerpreis erscheint mit einem Originaldruck von Haimo Hieronymus bei der Edition Das Labor, Mülheim 2011 Zu den Würdigungen im Einzelnen: http://www.vordenker.de/hungertuch/index.html Ein Essay zum Preis: http://www.bookrix.de/_title-de-matthias-hagedorn-zehn-jahre-kuenstlerpreis-8222-das-hungertuch-8220

Verfasser: Matthias Hagedorn, 04/2011

 
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Kolumne

von Matthias Hagedorn

Gedichte, Hörbuch von A.J. Weigoni
Als Tom Täger 1989 im Tonstudio an der Ruhr Helge Schneiders erste Schallplatte Seine größten Erfolge produzierte, hat man ihn für verrückt gehalten.

Virtualrealität
Sollte das Internet ein getreues Abbild einer Geistesverfassung sein, so fehlt den Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor allem eins: Ein Bewußtsein für die Realität

MetaPhon mit »Gedichte«

Der Sound der alten BRD
Im Gegensatz zu Christa Wolfs neoromantischer Geschichte »Kein Ort. Nirgends.« stellt sich A.J. Weigonis Dokumentationskomödie »Ein Ort. Skoping.« der Frage: „Wie gelangte das Schaf in das Wappen von Schöppingen?“

MetaPhon ab Mai 2011 »Reality Radio«

Das Hungertuch
Der Künstlerpreis wurde gegen Ende der Fastenzeit verliehen.

MetaPhon ab April 2011 mit »Zur Sprache bringen...«
Im Radio hört man Behinderungen nicht

MetaPhon ab Merz 2011 mit
Die Frage "Woher kann ein Bischof so gut küssen?" wird unstrittig von Eva Kurowski beantwortet. Während man bei Elmar Steinrückens akustischen Western den Gebrauch von Pfeil und Bogen erlernen kann, kämpft Helge Schneider mit den Tücken eines Anrufbeantworters.

MetaPhon ab Februar 2011: »RaumbredouilleReplica
Das Beruhigende an Science-Fiction-Stoffen ist die Erfahrung, daß andere Welten zwar anders aussehen, trotzdem aber genauso funktionieren wie die Unsere. Andererseits ist es betrüblich, wenn man immer wieder feststellen muß, daß sich eine bessere Welt bisher nirgends durchsetzen konnte.

MetaPhon ab Januar 2011: Gotthard Günther liest Naturphilosophie...

MetaPhon ab Januar 2011 - mit

MetaPhon, die AV-Reihe der Edition Das Labor ab 2011 auf vordenker.de

Novität: »Zombies«, Erzählungen von A. J. Weigoni
A.J. Weigoni ist mit der für ihn typischen Neugier auf der Suche nach dem Banalen. Er spitzt in den Erzählungen »Zombies« auf seine Weise zu, daß Banalität zunehmend das Maß des Alltäglichen wird; er legt mit seinen Formulierungen die brutalen Implikationen des Normalen frei.

Edition Das Labor

Porträt eines Ohryeurs
A.J. Weigoni erlag der Faszination des Mediums Radio in seinen Kindertagen, als der Rundfunk zu einem Zauberinstrument des Wortes wurde, zur akustischen Probebühne der Poesie, zum Atem der Vernunft. Er saß vor einem Rundfunkempfänger mit „Tigerauge“ wie vor einer Kultstätte und vergaß, als er vor dem Lautsprecher saß, die Apparaturen und Stationen. Das Medium Radio erlebte er als zauberhaft und seine Unmittelbarkeit als bestechend. Wenn er den Empfang optimieren wollte, mußte er nur geradewegs ins magische Auge des Empfangsgeräts schauen, das aufging oder sich schloss, wie eine sogenannte Abstimmanzeigeröhre, welche die Stärke des Signals veranschaulichte. Der Himmel war nicht nur der Himmel der Erde, sondern auch das Firmament der Kunst.

Lese–Musik im Kopf
Aus einem musikalischen Einfall heraus entwickelt Tom Täger ein 24teiliges Stück.

Die meisten Menschen pfeifen auf Lyrik, wir zwitschern!
Dank des der Kurznachrichtendienstes Twitter ist der Aphorismus eine auflebende Form. Ein Aphorismus ist modern, wenn er der Denkgenauigkeit seiner Zeit entspricht.


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