Edition Das Labor

Seitdem das Internet mit Text befüllt wird, modifiziert sich die Buchkultur zur Schriftkultur. Die digitale Kommunikation des 21. Jahrhunderts verändert unser Denken, Schreiben und Publizieren. Die neue Schriftkultur eröffnet die Möglichkeit, zu analysieren und geschriebene Texte, Bilder und Töne zu vergleichen und fortwährend den neuesten Erkenntnissen anzupassen. Analog zur Erfindung Johannes Gutenbergs eröffnet das Internet neue Möglichkeiten der Verbreitung von Literatur, Kunst und Musik. Die Artisten der Edition Das Labor legen ihr gesammeltes diskursives Wissen über Kunst und deren gesellschaftlicher Begleitumstände auf den Tisch. Sie ergänzen sich, streiten und korrigieren sich – und in einigen Fällen entdecken mehrere Artisten in der Vielstimmigkeit der Argumente zugleich eine neue Position. Die klassische Autorschaft ist ebenso perdü, wie der Geniekult des 19. Jahrhunderts. Die Frage lautet nicht, wie das Netz das Denken verändert, sondern wie das künstlerische Denken das Netz formt. Die Artisten der Edition Das Labor bewegen sich in einem Niemandsland, einem Freiraum, in dem es keinen politischen oder ökonomischen Druck gibt und keine ästhetische Diktatur. Sie ergründen die Umstände, in welchen Situation Kunst Widerstand sein kann, ohne in opportunistische Kapitalismuskritik zu verfallen. Das Internet lässt sich aktiv statt reaktiv nutzen, es verhilft dem Kunstfreund zu finden, was er wissen möchte. Im Buch gibt es Fußnoten und Intertext, aber keinen Hypertext. Dort muss der Leser alle geistigen Vernetzungen selbst leisten. Das Internet bietet dem User eine andere Form des Umgangs. Die Benutzung von Hyperlinks läßt eine Ausstiegsmöglichkeit. Das Buch hingegen baut einen größeren Druck auf dranzubleiben. Die Gründer der Edition Das Labor interessieren sich für Kunst, die nicht illustriert, sondern anders politisch relevant ist, es sind Künstler, die sich für Lebensentwürfe und das Zusammenleben interessieren und nicht für standardisierte Wege. Bei diesem Netzwerk sind grundlegende Werte die Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Demokratie, Gleichheit und Solidarität angezeigt. Die beteiligten Artisten vertrauen auf die ethischen Werte Ehrlichkeit, Offenheit, Sozialverantwortlichkeit und Interesse an anderen Menschen. Der Sinn der Edition Das Labor liegt darin, dass sich Künstlergruppen aus unterschiedlichen Regionen zusammenschließen und dem herrschenden Kulturbetrieb etwas Eigenes entgegensetzen. Diese Art zu arbeiten befreit die Gründer der Edition Das Labor von der Massenidentität, die in der globalisierten Gesellschaft entsteht. Diese Artisten machen keine Kunst, um Antihelden einer Subkultur zu sein, sondern vor allem, um die Sinngebung durch Kunst zu retten, um als Individuen zu überleben. Der Kulturbetrieb konfiguriert sich neu. Neben den Produktionsorten ‘Tonstudio an der Ruhr’ und der Werkstattgalerie ‘Der Bogen’ in Arnsberg, ist in 2010 als Veranstaltungsort der ‘Kunstraum Krumscheid’ in Linz am Rhein hinzugekommen. Weitere Vernetzungen mit ähnlich arbeitenden Artisten werden angestrebt. Das Sprachrohr der Artisten der Edition bildet die Plattform. Dieses Podium verschaltet das künstlerische Denken und Tun on- und offline sinnfällig. Die Konzentration im Kulturbetrieb schreitet im Internetzeitalter rasant voran. Kunst ist eine Ware mit besonderer Aura. Mit der Beschleunigung des Kultur-Betriebs und seiner am Mainstream orientierten Produktion hat sich auch das Feuilleton gewandelt: Konzentrierte sich das Interesse bislang auf den künstlerischen Gegenstand, so scheint zu beginn des 21. Jahrhunderts dessen Personifizierung das Maß aller Dinge zu sein. Über Vermarktungsstrategien streitet man sich bereits, seit Gutenbergs Erfindung des Bleisatzes. Der Markt für anspruchsvolle Innovationen und Entdeckungen hat sich dramatisch ausgedünnt, die Neugier auf Kunst hat in einem beängstigenden Maß nachgelassen. Pop, Glamour und Spaßkultur haben sich vor das Ernstere geschoben. Zerstreuung, Abenteuer, Selbsterfahrung, Internet verbauen den Blick auf das Wesentliche, das wir benötigen, wenn viele dieser Phänomene ihre Anziehungskraft verloren haben. Buchhändler verlangen Werbekostenzuschüsse, damit Bücher überhaupt in der Auslage präsentiert werden, die Presse ist immer stärker von den Anzeigen der Großverlage abhängig, deren Bücher sich immer ähnlicher werden und die Literaturkritik ist auf den Hund gekommen. Umgeschriebene Waschzettel beleidigen die Leser genauso wie redaktionelle Inhalte, die an Anzeigen geknüpft sind. Informationen sammeln, konzentrieren und als gebündeltes Wissen wieder an die Nutzer weitergeben - das ist der Mechanismus, der die Konzentration des künstlerischen Netzwerks vorantreibt. Als Werkzeug dient die Edition, eine Frischluftzufuhr für den Kulturbetrieb, eine Transparenzinitiative, die Meinung unzensiert "liefert". Kultur ist als Unterhaltung, genauer: die Anstrengung des Begriffs und Arbeit am Gegenstand. Die Artisten der Edition Das Labor nehmen den Vertrieb ihrer Produkte selbst in die Hand. Link: http://editiondaslabor.blogspot.com/

Verfasser: Matthias Hagedorn, 08/2010

 
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Kolumne

von Matthias Hagedorn

Gedichte, Hörbuch von A.J. Weigoni
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Virtualrealität
Sollte das Internet ein getreues Abbild einer Geistesverfassung sein, so fehlt den Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor allem eins: Ein Bewußtsein für die Realität

MetaPhon mit »Gedichte«

Der Sound der alten BRD
Im Gegensatz zu Christa Wolfs neoromantischer Geschichte »Kein Ort. Nirgends.« stellt sich A.J. Weigonis Dokumentationskomödie »Ein Ort. Skoping.« der Frage: „Wie gelangte das Schaf in das Wappen von Schöppingen?“

MetaPhon ab Mai 2011 »Reality Radio«

Das Hungertuch
Der Künstlerpreis wurde gegen Ende der Fastenzeit verliehen.

MetaPhon ab April 2011 mit »Zur Sprache bringen...«
Im Radio hört man Behinderungen nicht

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Die Frage "Woher kann ein Bischof so gut küssen?" wird unstrittig von Eva Kurowski beantwortet. Während man bei Elmar Steinrückens akustischen Western den Gebrauch von Pfeil und Bogen erlernen kann, kämpft Helge Schneider mit den Tücken eines Anrufbeantworters.

MetaPhon ab Februar 2011: »RaumbredouilleReplica
Das Beruhigende an Science-Fiction-Stoffen ist die Erfahrung, daß andere Welten zwar anders aussehen, trotzdem aber genauso funktionieren wie die Unsere. Andererseits ist es betrüblich, wenn man immer wieder feststellen muß, daß sich eine bessere Welt bisher nirgends durchsetzen konnte.

MetaPhon ab Januar 2011: Gotthard Günther liest Naturphilosophie...

MetaPhon ab Januar 2011 - mit

MetaPhon, die AV-Reihe der Edition Das Labor ab 2011 auf vordenker.de

Novität: »Zombies«, Erzählungen von A. J. Weigoni
A.J. Weigoni ist mit der für ihn typischen Neugier auf der Suche nach dem Banalen. Er spitzt in den Erzählungen »Zombies« auf seine Weise zu, daß Banalität zunehmend das Maß des Alltäglichen wird; er legt mit seinen Formulierungen die brutalen Implikationen des Normalen frei.

Edition Das Labor

Porträt eines Ohryeurs
A.J. Weigoni erlag der Faszination des Mediums Radio in seinen Kindertagen, als der Rundfunk zu einem Zauberinstrument des Wortes wurde, zur akustischen Probebühne der Poesie, zum Atem der Vernunft. Er saß vor einem Rundfunkempfänger mit „Tigerauge“ wie vor einer Kultstätte und vergaß, als er vor dem Lautsprecher saß, die Apparaturen und Stationen. Das Medium Radio erlebte er als zauberhaft und seine Unmittelbarkeit als bestechend. Wenn er den Empfang optimieren wollte, mußte er nur geradewegs ins magische Auge des Empfangsgeräts schauen, das aufging oder sich schloss, wie eine sogenannte Abstimmanzeigeröhre, welche die Stärke des Signals veranschaulichte. Der Himmel war nicht nur der Himmel der Erde, sondern auch das Firmament der Kunst.

Lese–Musik im Kopf
Aus einem musikalischen Einfall heraus entwickelt Tom Täger ein 24teiliges Stück.

Die meisten Menschen pfeifen auf Lyrik, wir zwitschern!
Dank des der Kurznachrichtendienstes Twitter ist der Aphorismus eine auflebende Form. Ein Aphorismus ist modern, wenn er der Denkgenauigkeit seiner Zeit entspricht.


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